Skip to main content

News

Music Theory

Sich gruseln für die Wissenschaft

Die Komponistin Susanne Hardt arbeitet seit September 2021 an ihrer Promotion zum Thema Filmmusik und analysiert 50 Thriller und Horrorfilme. Warum dafür extra eine neue Software entwickelt wurde und welche Erkenntnisse sie beim Fernsehen hatte, erzählt sie im Interview.

Frau Hardt, Sie sind erfolgreiche Komponistin. Nun arbeiten Sie für mindestens drei Jahre an einem Forschungsprojekt. Was interessiert Sie mehr: die Praxis oder die Forschung?
Ich tue mich schwer damit, mich für eins von beiden zu entscheiden. Einerseits liebe ich die kreative Arbeit, andererseits habe ich den Drang danach verstehen zu wollen, welche Techniken funktionieren und wie ich durch Musik bei dem Filmpublikum eine bestimmte Wahrnehmung erzeugen kann. Die Arbeit an der Dissertation ermöglicht mir beides.

Was ist Ihr Forschungsthema?
Der Arbeitstitel lautet: „Der Einfluss von repetitiven/ostinaten Strukturen und langen Liegetönen in Filmmusik auf die Wahrnehmung des Zuschauers“. Mich interessiert welche Art von Filmmusik beim Zuschauer welche konkrete Wirkung in Zusammenhang mit dem Bild auslöst. Es gibt bereits einige unterschiedliche Studien zu Musikwahrnehmung in Filmen, diese sind aber meist psychologisch motiviert und dementsprechend ohne musiktheoretischem Unterbau. Die musikfokussierten Filmanalysen sind oft begrenzt auf einen Film, eine Szene oder einen Regisseur oder befassen sich nicht mit der Wahrnehmung. Das will ich mit meiner Untersuchung von 50 Filmen ändern.

Warum ist es sinnvoll, Kunst wissenschaftlich zu untersuchen?
Ich höre manchmal von anderen Komponist:innen, dass es der Kreativität schade, die Kunst der Filmmusik auseinander zu nehmen. Ich persönlich sehe das überhaupt nicht so! Trotzdem ich mir zu Forschungszwecken schon sehr viele Filme angesehen habe und um die Wirkung von Filmmusik weiß, bin ich an den entsprechenden Szenen immer noch genauso gerührt oder erschrocken wie vorher. Ganz im Gegenteil: als Komponistin würde mir ein funktionierendes Schema für eine bestimmte Wirkung den handwerklichen Teil meiner Arbeit sehr erleichtern. Für die kreative Ausgestaltung bleiben immer noch genug Aspekte übrig.

Wie haben Sie die Filmauswahl getroffen?
Ich wollte vor allem zu Filmen forschen, die aktuell sind. Deshalb beschränke ich mich auf Produktionen, die in der Zeit zwischen 2011 und 2021 erschienen sind. Ich sehe gerne Thriller und Horrorfilme würde aber nur ungern dafür selbst komponieren. Deshalb fällt es mir hier leicht einen Schritt zurück zu gehen und nicht unweigerlich zu überlegen, wie ich die jeweilige Musik gestalten würde. Außerdem geht es insbesondere in diesen beiden Genres um eine gezielte Wahrnehmungslenkung des Zuschauers. Die 50 Filme, die ich für meine Studie untersuche habe ich dann rein zufällig ausgewählt. Dabei sind zum Beispiel „Annabelle 2“, „The Nun“, „Run – Du kannst ihr nicht entkommen“, „Countdown“ und „Follow me“.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?
Für die Studie sitze ich viel vor dem Fernseher. Obwohl ich jeden Film nur einmal von vorn bis hinten durchsehe, wiederhole ich die Szenen mit Musik – was bis zu 70 Minuten pro Film sein können - bis zu fünf-, sechsmal, um sie genau zu analysieren. Dann werden Erkenntnisse notiert und ich fasse jeden Film kurz zusammen.

Wie erfassen Sie die Daten?
Ziemlich zu Beginn des Forschungsvorhabens habe ich gemerkt, dass eine einfache Tabelle nicht ausreichen wird, um die Daten in der Detailliertheit zu erfassen, wie ich es mir vorgestellt habe. Deshalb bin ich froh mit Thorsten Seyschab auf einen Spezialisten in Sachen Datenbanken und Web-Applikationen gestoßen zu sein. Die Filmmusikdatenbank, die wir im letzten Jahr gemeinsam entwickelt haben, ist sein Masterarbeitsthema im Rahmen seines Informatikstudiums an der TU Dresden.  Seit September 2021 ist die Datenbank online und für jeden nutzbar, der sich für die Erfassung und Analyse von Filmmusik interessiert.

Welchen Vorteil bringt die Software?
Die Software ermöglicht es mir anhand einer Zeitschiene unterschiedliche musiktheoretische Parameter zu erfassen und optisch abzubilden. Ich notiere hier zum Beispiel die Taktart, den Grundton, die Lautstärke, die Dynamik und Instrumentation. Zusätzlich beschreibe ich die Dramaturgie und den Inhalt der Szenen. Angewandter könnte Gehörbildung nicht sein. Und trotzdem sind wir damit noch nicht am Ende. In Zukunft möchten wir auch noch Parameter zur Wahrnehmung des Films ergänzen und wir arbeiten an automatisierten Such- und Evaluierungsmöglichkeiten. Den bisherigen Stand der Software haben wir schon auf Konferenzen vorgestellt und dafür sehr positive Resonanzen erhalten. Viele erkennen Vorteile daran, detaillierte Musikanalysen zeitlich grafisch darstellen zu können.

Welche ersten Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Meine Thesen für das Forschungsvorhaben stützen sich auf aktuelle Erkenntnisse aus der Musikwahrnehmung und Erfahrungsberichte verschiedener Filmkomponisten. Ich vermute, dass die Wahrnehmung von Rhythmus die Vorhersehbarkeit des Filmgeschehens unterstützt. Die Aktionen im Film wirken dann nachvollziehbar und logisch. Im Gegensatz dazu sorgt das Fehlen von Rhythmus zum Beispiel durch lange Liegetöne oder lang ausgehaltenen Klangflächen für Verunsicherung und Unvorhersehbarkeit. Diese Zusammenhänge lassen sich sehr deutlich in Thrillern und Horrorfilmen beobachten.

Zur Person
Susanne Hardt stammt ursprünglich aus Mainz. Bis 2016 studierte sie mit dem Hauptfach Musiktheorie im Bachelor an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden und schloss ein Masterstudium mit dem Hauptfach Filmmusik an der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam Babelsberg an. Für ihre Kompositionen wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Ihre Promotion schreibt sie bei Prof. Dr. Robert Rabenalt. Es ist eine Kooperation mit dem École polytechnique fédérale de Lausanne (EPFL), Prof. Dr. Martin Rohrmeier (Director of the Digital and Cognitive Musicology Lab).

Nähere Informationen zur Filmdatenbank


Back to overview